AD FONTES! HISTORISCHE QUELLEN

8Wer sich intensiver mit der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte befasst, braucht, sofern die Person sich tatsächlich ernstzunehmend mit den Quellen befassen will, lateinische Sprachkompetenz: Viele Quellen sind bis um 1900 tatsächlich auf Latein verfasst. Auch lassen sich die in ihnen angesprochenen Sachverhalte, Mentalitäten, Argumentations-und Denkformen nicht ohne genauere Kenntnisse der historischen Sprachlichkeit und nicht ohne deren Modellbildungen verstehen. Längst nicht jeder Text ist übersetzt; und nicht jede Übersetzung aus dem Internet trifft das Gemeinte – was sich indes auch erst mit grundlegender analytischer und sprachphilosophischer Kompetenz erschließt. Gerade die Fülle des Ausdrucks und das Ineinanderwirken von sprachlich-stilistischen Formen, Syntax und Grammatik sowie den Aussagen des Textes und damit ein tiefergehendes Verständnis erschließt sich nur der Person, die ihren Blick dafür geschärft hat.

Fast noch wie im alten Rom: Mediziner und Juristen. „Auch die Andere muss gehört werden.“

7Natürlich ist eine fundierte lateinische Sprachkompetenz auch sinnvoll für moderne Berufsfelder: Medizin, Veterinärmedizin, Jurisprudenz, Archäologie, Religion sowie sämtliche modernen Fremdsprachen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der vorausgehenden Kulturen, aus der griechisch-hellenistischen und der arabischen Lebenswelt, sind in der Frühphase der Entfaltung der modernen Wissenschaft bewusst in der lateinischen Begrifflichkeit überformt worden. Nicht nur die Mediziner haben eine ganz eigene Terminologie daraus geschaffen. In der Jurisprudenz sind das juristische Denken, die Formulierung von Normen, Sachverhalten und Urteilen, aber auch die Verhandlungen, das Amtsverständnis und die Rollenverteilungen, bis auf den heutigen Tag stark von den antik-römischen Vorbildern geformt. Und dieser Prozess hält im Übrigen mit Blick auf die zahlreichen Ausdrücke der modernen Wissenschaften bis heute an und beschränkt sich keineswegs auf die genannten Fachrichtungen. Ein guter Lateinunterricht wird daher auch diese Relikte antiker Lebenswelt und Wissenschaft in den Blick nehmen.

Latinum

6Latinum: Ziel des Lateinunterrichts ist auch der Erwerb der formalen Qualifikation des Latinum. Für viele Studiengänge bildet es gerade an renommierten Universitäten im In- und Ausland bis heute eine Eingangsvoraussetzung oder muss im Laufe des Studiums mühsam nachgeholt werden.

DAMALS WIE HEUTE – SAXA LOQUUNTUR

5Altertumskunde – antike Kultur und Lebensart nicht nur der Römer: Ein vielseitiger Lateinunterricht wird auch die anderen, nicht-sprachlichen kulturellen Hinterlassenschaften vergangener Epochen in den Blick nehmen. So hat etwa die antike mediterrane Stadtkultur vieles hervorgebracht, das wir heute in unserer Lebenswelt, vor allem aber in der Freizeit nicht missen möchten: eine Bäder- und Sportkultur in Thermen- und Zirkusanlagen, mit den modernen Malls vergleichbare Einkaufspassagen, die als Mehrzweckgebäude gebrauchten Basiliken. Tempel dienten der Sinnstiftung; die traditionelle pagane Kultur der Römer nahm dabei fremde Kulte in sich auf, überformte sie und machte sie in ihrem Sinne staatsförmig. Das Auftreten monotheistischer Überzeugungen, vor allem des Christentums, stieß zunächst auf Ablehnung in der Gesellschaft und die Angehörigen christlicher Gemeinden sahen sich der Verfolgung durch einzelne Kaiser und Machthaber ausgesetzt. Später zur Staatsreligion geworden, wurde dann im Namen des Christentums die ältere pagane Kultur ihrerseits verfolgt und weitgehend zurückgedrängt. Kunst und Kultur haben in diesen lebensweltlichen Spannungen ihre jeweilige Gestalt gefunden. Der Lateinunterricht wird die Schülerinnen und Schüler in kritischer Form auch an ihre jeweiligen Narrative heranführen. Die verschiedenen Gruppen reflektierten in ihren Texten ihre Lebenswelt, begründeten und rechtfertigten ihre Normen und ihr Verhalten.

Keine Plagiate! Das ist mal original!

4Überlieferungsgeschichtlich ist auch der Blick auf die mittelalterlichen Schreibstuben (Skriptorien) zu richten: Die meisten antiken Texte, die uns überliefert sind, liegen uns nur in mittelalterlichen Abschriften vor und sind damit durch dieses Nadelöhr der Überlieferung gegangen. Wer Texte von Hand abgeschrieben oder exzerpiert hat, weiß, dass das nicht ohne Fehler geschieht. In den Skriptoren sind darüber hinaus schwierigere und das heißt meist ja auch interessantere Texte ganz offen mit den Text kommentierenden Glossierungen versehen worden, welche bei der nächsten Abschrift nicht selten zum – vermeintlichen – Bestand des Textes wurden. Es kommt hinzu, dass sich die meisten Skriptorien in Klöstern befanden. Die Schreibermönche waren zwar einerseits straff organisiert und auch bildungsaffin, auf der anderen Seite aber auch in ihrer christlichen Perspektive und von ihrem klösterlichen Alltag geprägt.

O tempora, o mores! Entdecke die fünf Welten

3Latein hat bis zu fünf Lebenswelten der vergangenen dreitausend Jahre geprägt und hat umgekehrt auch viele Anstöße aus ihnen erhalten. Der Schulunterricht hat sich daher von den nach wie vor basalen Autoren Caesar, Cicero, Vergil, Ovid und den weiteren Vertretern der „Goldenen Latinität“, hin auf die späteren antiken Autoren, wie Seneca und Plinius, aber auch Martial und Augustin, geweitet. Ebenso werden in der Lektürephase mittelalterliche Autoren wie Caesarius von Heisterbach, Einhard oder andere zur Lektüre herangezogen. Wichtige Impulse hat unsere moderne Lebenswelt auch von den Humanisten der Renaissance, wie dem „Urpazifisten“ Erasmus von Rotterdam oder von Pico della Mirandola, einem der Begründer der modernen Perspektive auf den Menschen, erhalten.